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Vom Schreibtisch im MIZ direkt in die VR Welt. Unweit der Berliner Stadtautobahn liegt in Charlottenburg der Eingang in die virtuelle Dimension, direkt über einem Supermarkt und einer Moschee. Hier befindet sich die 120 m² große Wohnung, in der Jim und Julien Rüggeberg seit vier Jahren ihr Unternehmen Illusion Walk haben. Als virtual reality immersive experience provider – somit Dienstleister für das Eintauchen in die Virtuelle Realität – wollen die Brüder zum Marktführer für immersive Erlebnisse werden, ohne Investoren.

Bereits die Ankunft ist eine Immersion. Der Fahrstuhl ist defekt, ich laufe mit den anderen Workshoppern die Treppen hoch. Viele sind müde. Der vorherige Tag mit Andrea Heuck war intensiv – bis weit über das Ende hinaus wurde über neurologische Auswirkungen der VR-Welt und narrative Techniken diskutiert. Welche Stories es braucht, wo die Gefahren liegen. Fühlt sich der User alleine wohler oder im Team? Im zweiten Stockwerk sind alle wieder angeschaltet, die Müdigkeit verflogen. Wie wichtig ist überhaupt der Charakter in der ganzen Geschichte? Wie schaffen wir Empathie? In der vierten Etage erwartet uns Andrea, smart und frisch wie am Vortag, mit der richtigen Portion Push. Seit 2013 hat sie bei Illusion Walk den Bereich Science und Directing Theory ausgebaut. Sie arbeitet mit externen Teams verschiedener Universitäten. Gerade versucht sie, den Mainzer Philosophen Thomas Metzinger für ihr Content Team zu gewinnen.

Nach einem Kaffee und einmal AGB unterschreiben, geht es auch schon los in die Full Body Interaction. Mit Virtual-Reality-Headset, Kopfhörern und einem tragbaren Computer auf dem Rücken gerüstet, begeben wir uns in 5-er Gruppen in eine Erfahrung, wie es der interne Sprech will. Quer durch den leeren Raum. Die QR-Codes funktionieren dabei als Marker, um die Position der Nutzer im Raum zu bestimmen und in die virtuelle Realität zu übertragen. Und wie es funktioniert! Ein Blick aus dem Fenster entlarvt Berlin als grauschwarze Bergwüste. Wir gehen durch Autos, Berg auf, Berg ab, gelangen über einen Fahrstuhl auf die Plattform eines Windrades, das wir reparieren sollen. Wohlwissend, dass diese nicht die echte Welt ist, fällt es mir doch äußerst schwer, mich in schwindelerregender Höhe über das Geländer zu beugen, geschweige denn nur zu blinzeln. Unendlich weit geht es in die Tiefe, wo Haie und Ungeheuer und wahrscheinlich auch meine Steuererklärung warten. Als der Himmel aufreißt und eine neue Story-Ebene auf uns zu steuert, entschließe ich mich, lieber Möwen zu gucken. Zwanzig, dreißig fliegen da in weiter Ferne. Der Wind weht die salzige Meeresluft um die Haare. Ich erinnere mich an meinen Herbsturlaub auf dem Darß, der viel zu kurz war, genieße die letzten Sonnenstrahlen, die Weite – und daran, ob die Krankenkassen demnächst gestressten Eltern anstelle von Ostseekuren diese Art von Trips verschreiben werden. Aber zurück zur Sache, die Story möchte ich hier gar nicht verraten. Wichtig ist: Bei Illusion Walk gibt es keine Pornographie, Rassismus, und auch kein Ego-Shooter. Illusion Walk schafft die Immersion über alle Sinne. 37 sollte es geben, hatte Andrea am Vortag noch gesagt. Immer noch wow. Den Körper mit all seinen Affekten und Reaktionen mit der Digitalen Welt zu verschmelzen, geht auf.

Die Interaktion gleicht der Realität – der Fahrstuhl ruckelt, die Tür geht auf und der Raum riecht nach Kohle. Je höher die Immersion ist, also das Eintauchen in die Welt, desto höher wird die Erinnerung an dieses Erleben sein. Allein Andreas Stimme schafft einen sogenannten Immersionsbruch, also ein Hinausstolpern aus der digitalen Welt. Bis der richtige Content von einem richtigen Schauspieler geleitet wird, übernimmt sie die Funktion des Games Master. Auch die Tatsache, dass die Avatare bis auf die Körpergröße gleich aussehen, käseweiß sind, ist enttäuschend. Ich kann auch nicht wirklich sagen, ob Juana neben mir lächelt oder vielleicht doch etwas Böses im Schilde führt. Und naja, klar, die große Sache sind: die Beine. Sie fehlen. Bis auf das Bein-Tracking ist der User multisensorisch vernetzt. „Die Beine sind besonders schwer. Daran arbeiten wir gerade Tag und Nacht“, lacht Andrea. „Aber denk an Dein Gehirn. Es hat eine große Plastizität und kann sich schnell den Informationen anpassen.“ Recht hat sie. Schon nach wenigen Minuten habe ich meine nichtexistierenden Beine vergessen – und schweb-schlurfe durch die Gegend.

Als ich die Brille abnehme, blicke ich in dutzende grinsenden Gesichter. Die Mit-Workshopper haben mich die ganze Zeit beobachtet, wie ich da rumgestackselt bin. Während Juana neben mir glücklich über ihren Trip hüpft und gackert, (DIE macht so was nämlich ziemlich öfter) fühle ich mich total durchgenudelt – und kreativ. Dennoch schiebe ich mein Fahrrad lieber nach Hause.

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