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4 Rs

4 Rs

Die Welt der Realities hat mich gepackt, der 4 Rs. Seit zwei Wochen sitze ich im Seminar des MIZ Babelsberg und erfahre nicht nur den neusten Tratsch über die High-Tech-Droge Virtual Reality und die Tücken der Produktion, sondern darf selber produzieren – soweit das möglich ist. 360° Kameras sind vorhanden, die Story schnell gesetzt und das Filmchen gedreht. Auch die Postproduktion lässt sich so Low Budget gut regeln. Low Budget? Still habe ich angefangen zu beten, dass ein Auftrag reinkommt, an dem ich all die Ideen umsetzen kann, die mir vor dem inneren Auge rumschwirren. 360 ° Video bekannter Orte mit historischen High-Lights, multikulturelles Aufklärung, interaktives Lernen für Oberschüler (Wie war das nochmal mit der Sinuskurve?), Innenansichten eines Gypsie-Tracks. Nach wie vor gilt: Mittels kleiner Attribute ein großes Raumerlebnis zu erfahren, so dass eine Identität mit dem User geschaffen werden kann. VR ist die EMPATHIE MACHINE. Doch vor lauter Augmented Reality, Mixed Reality, Virtual Reality, und Expanded Reality jazze ich die Begriffe zusammen, die ich so mühsam gelernt habe und doch immer wieder versemmel.
Höchste Zeit für ein Splitting: Spätestens seitdem im letzten Jahr die Pokemon die Weltherrschaft an sich gezogen und den Autoverkehr lahmgelegt haben, sollte der Begriff Mixed Reality nicht ganz unbekannt sein. Hier wird die natürliche Wahrnehmung eines Nutzers mit einer artifiziellen, also computererzeugten Wahrnehmung vermischt. Dagegen sticht die Augmented Reality hervor. Animationen oder Grafiken, in jedem Fall also visuelle Extrainformationen ergänzen das Video mittels Einblendung oder Überlagerung. Wie die Mixed Reality ist das eine Form der erweiterten Realitätswahrnehmung. Bei Sportevents ist die Augmented Reality bereits normal, der Trend geht zunehmend in Richtung Werbung. 2013 hatte der schwedische Möbelhersteller IKEA etwa einen virtuellen Katalog kreiert, in dem ausgewählte Möbelstücke per App eingescannt und an einen beliebigen Platz in der Wohnung projiziert werden konnten. Allein bei der Virtual Reality wird mittels VR-Brillen und multisensorischen Controllern, Handschuhen oder Anzügen die sinnliche Wahrnehmung einer interaktiven virtuellen Umgebung geschaffen. Der User ist also total von einer computergenerierten Umgebung umschlossen. Eine der großen Gefahren für User, wie früher auch nur Junks genannt wurden: Motion Sickness, zu Deutsch Reisekrankheit. Für manch ein Gehirn ist es einfach zu viel, wenn sich Kamera und Körper gleichzeitig bewegen. Dann besteht Kotzgefahr. Speziell im VR gibt es aber Tricks, mit denen man das ausschalten kann, wie etwa ein Geländer, das man um das direkte Sichtfeld baut. Und schon denke ich an die gute alte Malerei und den „delightful horror“, wie der englische Philosoph 1757 Edmund Burke die ästhetische Kategorie des Sublimen beschrieb. Schaudern und Schrecken. Wie der deutsche Philosoph Immanuel Kant war er der Ansicht, dass die Betrachtung eines großartigen, auch schrecklichen Ereignisses einen wohligen Schauer auslöst, da man sich sicher ist, dass man sich in einer sicheren Umgebung befindet – das Geländer vor dem Abgrund, der Rahmen des Fernsehers und des Smartphones. Seit Erfindung der VR wird diese Grenze immer weiter gebrochen, ein Grund weshalb Wissenschaftler der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz (JGU) einen ethischen Kodex erstellt haben; Bedenken, die nach ihrer Ansicht durch die Nutzung von virtuellen Realitäten in der Wissenschaft oder im privaten Bereich entstehen können. Gleichzeitig geben Dr. Michael Madary und Prof. Dr. Thomas Metzinger vom Philosophischen Seminar der JGU konkrete Empfehlungen ab, wie diese Risiken minimiert werden können.

Die virtuellen Realitäten schwirren durch meinen Kopf, ich ordne sie zu und dann kriegt sie mich doch noch, die harte Realität, sie ist mein Geländer: Durch den den Nebel hetzte ich zum MIZ, in den Seminarraum. Aber da ist keiner. „VR konkret“ wurde verschoben, erfahre ich; wegen Krankheit. Leider bin ich die einzige, die die email mit der Absage nicht erhalten hat.

Auf dem Immersive Deck bei Illusion Walk

Auf dem Immersive Deck bei Illusion Walk

Vom Schreibtisch im MIZ direkt in die VR Welt. Unweit der Berliner Stadtautobahn liegt in Charlottenburg der Eingang in die virtuelle Dimension, direkt über einem Supermarkt und einer Moschee. Hier befindet sich die 120 m² große Wohnung, in der Jim und Julien Rüggeberg seit vier Jahren ihr Unternehmen Illusion Walk haben. Als virtual reality immersive experience provider – somit Dienstleister für das Eintauchen in die Virtuelle Realität – wollen die Brüder zum Marktführer für immersive Erlebnisse werden, ohne Investoren.

Bereits die Ankunft ist eine Immersion. Der Fahrstuhl ist defekt, ich laufe mit den anderen Workshoppern die Treppen hoch. Viele sind müde. Der vorherige Tag mit Andrea Heuck war intensiv – bis weit über das Ende hinaus wurde über neurologische Auswirkungen der VR-Welt und narrative Techniken diskutiert. Welche Stories es braucht, wo die Gefahren liegen. Fühlt sich der User alleine wohler oder im Team? Im zweiten Stockwerk sind alle wieder angeschaltet, die Müdigkeit verflogen. Wie wichtig ist überhaupt der Charakter in der ganzen Geschichte? Wie schaffen wir Empathie? In der vierten Etage erwartet uns Andrea, smart und frisch wie am Vortag, mit der richtigen Portion Push. Seit 2013 hat sie bei Illusion Walk den Bereich Science und Directing Theory ausgebaut. Sie arbeitet mit externen Teams verschiedener Universitäten. Gerade versucht sie, den Mainzer Philosophen Thomas Metzinger für ihr Content Team zu gewinnen.

Nach einem Kaffee und einmal AGB unterschreiben, geht es auch schon los in die Full Body Interaction. Mit Virtual-Reality-Headset, Kopfhörern und einem tragbaren Computer auf dem Rücken gerüstet, begeben wir uns in 5-er Gruppen in eine Erfahrung, wie es der interne Sprech will. Quer durch den leeren Raum. Die QR-Codes funktionieren dabei als Marker, um die Position der Nutzer im Raum zu bestimmen und in die virtuelle Realität zu übertragen. Und wie es funktioniert! Ein Blick aus dem Fenster entlarvt Berlin als grauschwarze Bergwüste. Wir gehen durch Autos, Berg auf, Berg ab, gelangen über einen Fahrstuhl auf die Plattform eines Windrades, das wir reparieren sollen. Wohlwissend, dass diese nicht die echte Welt ist, fällt es mir doch äußerst schwer, mich in schwindelerregender Höhe über das Geländer zu beugen, geschweige denn nur zu blinzeln. Unendlich weit geht es in die Tiefe, wo Haie und Ungeheuer und wahrscheinlich auch meine Steuererklärung warten. Als der Himmel aufreißt und eine neue Story-Ebene auf uns zu steuert, entschließe ich mich, lieber Möwen zu gucken. Zwanzig, dreißig fliegen da in weiter Ferne. Der Wind weht die salzige Meeresluft um die Haare. Ich erinnere mich an meinen Herbsturlaub auf dem Darß, der viel zu kurz war, genieße die letzten Sonnenstrahlen, die Weite – und daran, ob die Krankenkassen demnächst gestressten Eltern anstelle von Ostseekuren diese Art von Trips verschreiben werden. Aber zurück zur Sache, die Story möchte ich hier gar nicht verraten. Wichtig ist: Bei Illusion Walk gibt es keine Pornographie, Rassismus, und auch kein Ego-Shooter. Illusion Walk schafft die Immersion über alle Sinne. 37 sollte es geben, hatte Andrea am Vortag noch gesagt. Immer noch wow. Den Körper mit all seinen Affekten und Reaktionen mit der Digitalen Welt zu verschmelzen, geht auf.

Die Interaktion gleicht der Realität – der Fahrstuhl ruckelt, die Tür geht auf und der Raum riecht nach Kohle. Je höher die Immersion ist, also das Eintauchen in die Welt, desto höher wird die Erinnerung an dieses Erleben sein. Allein Andreas Stimme schafft einen sogenannten Immersionsbruch, also ein Hinausstolpern aus der digitalen Welt. Bis der richtige Content von einem richtigen Schauspieler geleitet wird, übernimmt sie die Funktion des Games Master. Auch die Tatsache, dass die Avatare bis auf die Körpergröße gleich aussehen, käseweiß sind, ist enttäuschend. Ich kann auch nicht wirklich sagen, ob Juana neben mir lächelt oder vielleicht doch etwas Böses im Schilde führt. Und naja, klar, die große Sache sind: die Beine. Sie fehlen. Bis auf das Bein-Tracking ist der User multisensorisch vernetzt. „Die Beine sind besonders schwer. Daran arbeiten wir gerade Tag und Nacht“, lacht Andrea. „Aber denk an Dein Gehirn. Es hat eine große Plastizität und kann sich schnell den Informationen anpassen.“ Recht hat sie. Schon nach wenigen Minuten habe ich meine nichtexistierenden Beine vergessen – und schweb-schlurfe durch die Gegend.

Als ich die Brille abnehme, blicke ich in dutzende grinsenden Gesichter. Die Mit-Workshopper haben mich die ganze Zeit beobachtet, wie ich da rumgestackselt bin. Während Juana neben mir glücklich über ihren Trip hüpft und gackert, (DIE macht so was nämlich ziemlich öfter) fühle ich mich total durchgenudelt – und kreativ. Dennoch schiebe ich mein Fahrrad lieber nach Hause.

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