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Filmmanufaktur Potsdam goes Virtual Reality

Filmmanufaktur Potsdam goes Virtual Reality

„Vergesst alles, was Ihr über Filme gelernt habt“, strahlt Maren Demant in den Raum, und alle antworten beschwiegen. Um mich herum sitzt eine Meute Kreativer – von Drehbuchautoren über Regisseuren und Produzenten bis zu Ausstellungskonzeptlern – bereit für das Storytelling der Zukunft. Das Medieninnovationszentrum Babelsberg hat zum dreimonatigen Workshop VR Bildungsprogramm geladen. Neben all dem technischem Know How um die Fotokunst, will ich wissen, wie ich endlich neue Geschichten schreiben kann.

Draußen krümmt und bricht Herbsttrouble Xavier unzählige Bäume, drinnen geht es heiß zur Sache: Fotografin und VR Queen Demant doziert über Virtual Reality. Im Gegensatz zum Film stehe im Storytelling nämlich nicht die Originalität der Handlung oder die Psychologie der Figuren im Fokus, sondern: der Raum. Diese Idee ist längst nicht neu, referiert Demant. Bereits in der Antike forderten Wandmalereien die Sterblichen auf, mit den Göttern auf dem Olymp zu feiern. Mit ihren Scheinkuppeln und Deckenfresken lockte die barocke Architektur ebenso zu einem kollektiven Raumerlebnis wie Flugsimulatoren oder das Kaiser-Panorama im Wilhelminischen Reich, das heute im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu besichtigen ist. Krieg und Pornographie als Sujets begeisterten so sehr, dass das Gerät schnell verpönt war. Daran hat sich wenig geändert. Noch immer sorgt vor allem die Pornobranche für zahlreiche Innovationen in der Technologiebranche. So wie derzeit bei den Virtual-Reality-Pornos mit einem Zwölf-Kamera-Gestell oder einer 180-Grad-Kamera.

Umso wichtiger ist die Frage nach originellem und kreativem VR Storytelling. Wenn es also nicht um die Konzeption der Figuren geht, dann ist die Experience für den VR Erzähler, in die Interaktion mit dem User zu treten – und der absolute Kontrollverlust über die lineare Handlung! Wie grauenvoll! Wie toll! Wie also setze ich räumliche Attraktionen, mit denen ich es schaffe, dass der User sich auf ein Abenteuer einlässt? Als Kunsthistorikerin und urbane Beobachterin fallen mir subito drei vier Themen ein, die in ihrer Aufforderung zum Spiel nicht überborden daherkommen dürfen – und gleichzeitig nach Spielen schreien: Dank des großartigen VR- Gesetz, Gesetze auszuhebeln. Was könnte man nicht alles tun und machen und kreieren. Doch so ein VR Filmchen sollte wirtschaftlich durchdacht sein – und benötigt jemanden, der Vertrauten schenkt. Noch ist das Publikum rar. Nicht jeder verfügt über eine VR Brille. Wohlwissend, dass die Welt der Mixed, Augmented und Virtual Reality noch in Kinderfüßen steckt, motiviert Demant, herrauszugehen und 360° Videos zu produzieren. Nicht abzuwarten bis irgendwas passiert. Sondern jetzt! Apps wie Arte 360° oder die New York Times VR werden bereits 2017 dankbar angenommen. Sie schaffen bereits mit kleinen Mitteln ein sehr besonderes Raumerlebnis.

„Vergesst alles, was Ihr über Filme gelernt habt“, wiederholt Demant. Und ich freue mich – auf das Tüfteln an einer Immersion!

Lena Reich ist Kunst – und Literaturwissenschaflterin und arbeitet als
Skripterin bei deinerklaerfilm.de.

Auf dem Immersive Deck bei Illusion Walk

Auf dem Immersive Deck bei Illusion Walk

Vom Schreibtisch im MIZ direkt in die VR Welt. Unweit der Berliner Stadtautobahn liegt in Charlottenburg der Eingang in die virtuelle Dimension, direkt über einem Supermarkt und einer Moschee. Hier befindet sich die 120 m² große Wohnung, in der Jim und Julien Rüggeberg seit vier Jahren ihr Unternehmen Illusion Walk haben. Als virtual reality immersive experience provider – somit Dienstleister für das Eintauchen in die Virtuelle Realität – wollen die Brüder zum Marktführer für immersive Erlebnisse werden, ohne Investoren.

Bereits die Ankunft ist eine Immersion. Der Fahrstuhl ist defekt, ich laufe mit den anderen Workshoppern die Treppen hoch. Viele sind müde. Der vorherige Tag mit Andrea Heuck war intensiv – bis weit über das Ende hinaus wurde über neurologische Auswirkungen der VR-Welt und narrative Techniken diskutiert. Welche Stories es braucht, wo die Gefahren liegen. Fühlt sich der User alleine wohler oder im Team? Im zweiten Stockwerk sind alle wieder angeschaltet, die Müdigkeit verflogen. Wie wichtig ist überhaupt der Charakter in der ganzen Geschichte? Wie schaffen wir Empathie? In der vierten Etage erwartet uns Andrea, smart und frisch wie am Vortag, mit der richtigen Portion Push. Seit 2013 hat sie bei Illusion Walk den Bereich Science und Directing Theory ausgebaut. Sie arbeitet mit externen Teams verschiedener Universitäten. Gerade versucht sie, den Mainzer Philosophen Thomas Metzinger für ihr Content Team zu gewinnen.

Nach einem Kaffee und einmal AGB unterschreiben, geht es auch schon los in die Full Body Interaction. Mit Virtual-Reality-Headset, Kopfhörern und einem tragbaren Computer auf dem Rücken gerüstet, begeben wir uns in 5-er Gruppen in eine Erfahrung, wie es der interne Sprech will. Quer durch den leeren Raum. Die QR-Codes funktionieren dabei als Marker, um die Position der Nutzer im Raum zu bestimmen und in die virtuelle Realität zu übertragen. Und wie es funktioniert! Ein Blick aus dem Fenster entlarvt Berlin als grauschwarze Bergwüste. Wir gehen durch Autos, Berg auf, Berg ab, gelangen über einen Fahrstuhl auf die Plattform eines Windrades, das wir reparieren sollen. Wohlwissend, dass diese nicht die echte Welt ist, fällt es mir doch äußerst schwer, mich in schwindelerregender Höhe über das Geländer zu beugen, geschweige denn nur zu blinzeln. Unendlich weit geht es in die Tiefe, wo Haie und Ungeheuer und wahrscheinlich auch meine Steuererklärung warten. Als der Himmel aufreißt und eine neue Story-Ebene auf uns zu steuert, entschließe ich mich, lieber Möwen zu gucken. Zwanzig, dreißig fliegen da in weiter Ferne. Der Wind weht die salzige Meeresluft um die Haare. Ich erinnere mich an meinen Herbsturlaub auf dem Darß, der viel zu kurz war, genieße die letzten Sonnenstrahlen, die Weite – und daran, ob die Krankenkassen demnächst gestressten Eltern anstelle von Ostseekuren diese Art von Trips verschreiben werden. Aber zurück zur Sache, die Story möchte ich hier gar nicht verraten. Wichtig ist: Bei Illusion Walk gibt es keine Pornographie, Rassismus, und auch kein Ego-Shooter. Illusion Walk schafft die Immersion über alle Sinne. 37 sollte es geben, hatte Andrea am Vortag noch gesagt. Immer noch wow. Den Körper mit all seinen Affekten und Reaktionen mit der Digitalen Welt zu verschmelzen, geht auf.

Die Interaktion gleicht der Realität – der Fahrstuhl ruckelt, die Tür geht auf und der Raum riecht nach Kohle. Je höher die Immersion ist, also das Eintauchen in die Welt, desto höher wird die Erinnerung an dieses Erleben sein. Allein Andreas Stimme schafft einen sogenannten Immersionsbruch, also ein Hinausstolpern aus der digitalen Welt. Bis der richtige Content von einem richtigen Schauspieler geleitet wird, übernimmt sie die Funktion des Games Master. Auch die Tatsache, dass die Avatare bis auf die Körpergröße gleich aussehen, käseweiß sind, ist enttäuschend. Ich kann auch nicht wirklich sagen, ob Juana neben mir lächelt oder vielleicht doch etwas Böses im Schilde führt. Und naja, klar, die große Sache sind: die Beine. Sie fehlen. Bis auf das Bein-Tracking ist der User multisensorisch vernetzt. „Die Beine sind besonders schwer. Daran arbeiten wir gerade Tag und Nacht“, lacht Andrea. „Aber denk an Dein Gehirn. Es hat eine große Plastizität und kann sich schnell den Informationen anpassen.“ Recht hat sie. Schon nach wenigen Minuten habe ich meine nichtexistierenden Beine vergessen – und schweb-schlurfe durch die Gegend.

Als ich die Brille abnehme, blicke ich in dutzende grinsenden Gesichter. Die Mit-Workshopper haben mich die ganze Zeit beobachtet, wie ich da rumgestackselt bin. Während Juana neben mir glücklich über ihren Trip hüpft und gackert, (DIE macht so was nämlich ziemlich öfter) fühle ich mich total durchgenudelt – und kreativ. Dennoch schiebe ich mein Fahrrad lieber nach Hause.

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